Der Welpe zieht ein! Was für ein toller Tag, den du schon mit Aufregung erwartet hast. Du hast dich richtig gut vorbereitet. Der Welpe hat - deiner Meinung nach - alles, was er braucht: ein weiches Bettchen, ein paar Spielsachen, ein funkelnagelneues Brustgeschirr mit dazu passender Leine, Welpenfutter und natürlich gaaaaaanz viel Liebe. Gelesen hast du selbstverständlich auch alles Mögliche zum Thema Welpenerziehung. Du bist dir sicher: Das wird super!

Nachdem dein Welpe nun eine Woche bei dir war, ruft dich eine Freundin an und fragt, wie's dir geht und ob du vielleicht Lust auf einen Kaffee hättest. Du musst ihr leider erschöpft einen Korb geben, weil dich die erste Woche mit deinem Welpen an deine Grenzen gebracht hat. Du hast dich seit einer Woche nicht mehr geduscht, weil du den Kleinen keine Sekunde aus den Augen lassen kannst, du hast Schlafdefizit, weil er nicht ausreichend zur Ruhe kommt und die Nacht durchschläft, in der Küche stapeln sich die Pizzaschachteln, denn von Einkaufen kann nicht die Rede sein, da du das Haus seit 1 Woche nicht mehr verlassen hast.
Deine Freundin redet dir gut zu, ist sich sicher, dass in einer Woche alles besser sein wird, hängt auf und geht mit einer anderen Freundin Kaffee trinken.
1 Monat später - dein Welpen kommt nicht zur Ruhe
Vieles hat sich in der Zeit schon verändert. Du kannst mittlerweile duschen gehen, vorausgesetzt es dauert nicht länger als 5 Minuten und der Welpe hat gerade gefressen und ist etwas müde. Zum Einkaufen nimmst du ihn mit, lässt ihn im Auto, wo er zwar bellt, aber da kann man halt nichts machen. Der Mensch muss schließlich was essen! Deine Arbeit erledigst du im Homeoffice (das war auch der Grund, weshalb du dir einen Welpen überhaupt nehmen konntest); na, ja, "erledigen" ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Wie gut, dass du manche Dinge auch nachts machen kannst, wenn der Welpe endlich mal schläft, nachdem er seine allabendlichen mittlerweile 30-minütigen Zoomies erledigt hat. Die werden irgendwie immer länger, kommt dir vor…
"Nächste Woche beginnt endlich die Welpenschule," erzählst du deiner Freundin aufgeregt. "Die werden dem Welpen schon Manieren beibringen. Dann können wir endlich wieder zusammen Kaffee trinken gehen!"
2 Monate später
Deine Freundin hat mittlerweile aufgegeben dich zu fragen, ob du mit ihr auf einen Kaffee gehst. Denn ihr habt es tatsächlich einmal probiert. Das hat aber leider desaströs geendet. Alle Leute in dem Kaffeehaus fanden den Welpen "sooooo süüüüß" und wollten ihn streicheln. Der Kleine wusste nicht mehr ein noch aus, hat vor Freude bei jedem sich nähernden Menschen einen Purzelbaum geschlagen, doch wenn die Streichlerei vorbei war, hat er fürchterlich gejammert und gebellt. Das war vielleicht peinlich! Nach ein paar "verständnisvollen Worten" von anderen Gästen ("Ja, ja, das kenn ich. Meiner war auch mal so klein." "Sie müssen mit ihm in eine Welpenschule gehen.") habt ihr das Café verlassen.
So oder so ähnlich könnten die ersten drei Monate mit einem Welpen - oder mit einem Hund aus dem Tierheim - ablaufen und man merkt, dass man darauf nicht vorbereitet war. Denn der Welpe scheint einfach nicht zur Ruhe zu kommen.
Das ist unserer Erfahrung nach tatsächlich das häufigste Problem - der Welpe kommt nicht zur Ruhe.
Und die Fragen, die man sich zu Recht stellt, sind: Woher kommt diese Unruhe? Müsste der Kleine nicht mal müde werden? Was kann ich machen, damit er sich entspannt?
Tatsächlich ist es so, dass die Trennung des Welpen von seiner Mutter und seinen Geschwistern mit 8 Wochen ein einschneidendes - wenn nicht sogar ein traumatisches - Erlebnis darstellt, das den kleinen Hund sehr stresst. Der Welpe verliert seine Sicherheit und Geborgenheit und weiß instinktiv, dass er alleine noch nicht überlebensfähig ist. Nun kommt er in eine andere Umgebung zu fremden Menschen, wo alles anders ist. Wir Menschen sind von unserer Freude überwältigt, dass der Welpe endlich bei uns ist, aber ich bin mir sicher, dass es dem Welpen nicht so geht wie uns. Das muss uns erstmal klar sein.
Um deine Beziehung zum kleinen Vierbeiner nicht von Anfang an auf falsche Bahnen zu lenken, muss erstmal Ruhe einkehren. In den ersten 3-5 Tagen, nachdem der Welpe eingezogen ist, passiert genau gar nichts. Keine Besuche, keine Ausflüge, keine Spaziergänge, kein Staubsaugen. Dir fällt in der Küche etwas runter? Es folgt der Griff zum guten, alten Besen. Dein Welpe schläft? Du verhältst dich ruhig, bis der kleine aufwacht. Der Welpe ist munter? Du gehst mit ihm raus auf seine Pinkel-Stelle, dann wieder rein und beschäftigst dich mit ihm. Du spielst ein bisschen mit ihm, stellst ihm viele Kauartikel zur Verfügung, sitzt mit ihm am Boden und bist einfach nur da. Du kochst? Dein Welpe ist bei dir in der Küche und dir "fällt" immer wieder mal etwas runter, womit sich der Kleine beschäftigen kann: eine Karotte, ein bisschen Petersilie, ein Salatblatt, ein leerer Eierkarton, etc. Dein Welpe ist beschäftigt und du kannst in Ruhe kochen.
Hier unser Top Tipp: Mach alles um die Hälfte langsamer. All deine Bewegungen sollten gaaaaaanz langsam sein. Stell dir vor, du bist so klein, dass du nur Füße vor dir siehst, die sich ständig schnell bewegen, immer wieder die Richtung ändern. Und du bist ein Lebewesen, das sich durch Bewegung triggern lässt, d.h. wenn sich Dinge bewegen, ist es dein natürlicher Instinkt, diesen nachzurennen, sie zu beißen und zu packen. Dem Welpen ist es relativ egal, ob es ein Blatt, ein Schmetterling oder deine Füße sind.
Nach ein paar Tagen oder ungefähr ab der 11. Lebenswoche kannst du beginnen mit deinem Welpen Nasenarbeit zu machen. Du denkst, das sei zu früh? Nein, überhaupt nicht! Seine kleine Nase funktioniert schon jetzt viel besser als deine. Und stell dir vor, wie es wäre, wenn dich jemand von klein auf in deiner besten Fähigkeit bestärkt und unterstützt hätte (vorausgesetzt, jemand hätte diese Fähigkeit erkannt). Wie hättest du dich wohl entwickelt? Selbstbewusst und mutig oder ängstlich und unsicher? Natürlich wird dein kleiner Hund selbstbewusster, wenn er von Beginn an in genau der Fähigkeit bestärkt wird, die er am besten kann. Die Nase ist die Superpower deines Hundes.
Aber was hat das mit Entspannung zu tun? Also, das ist so. Ein Hund, der viel mit der Nase arbeitet, strengt sein Gehirn sehr an. Er lernt dabei, kreativ Probleme zu lösen. Das macht müde. Dann muss der Hund viel schlafen. Ein Hund, der viel und gut schläft, ist natürlich viel entspannter. Und - voilá - du bekommst einen Hund, der zufrieden und glücklich ist und daher den Alltag und etwaige Stresssituationen besser meistern kann.
P.S. Mit Nasenarbeit allein ist es aber nicht getan. Ein Welpe braucht in erster Linie Sicherheit und die soziale Unterstützung seiner Bezugsperson. Wende dich an empathische und ethisch arbeitende HundetrainerInnen, wenn du Hilfe brauchst.
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